Texte

Warum Kunst oder wie erklärt sich die Notwendigkeit zum bildnerischen Handeln?

 
Guido Ludes: Auszug aus der Einführungsrede zur Ausstellungseröffnung „Mainzer Impressionen“ im Landtag RLP Mainz am
9. Februar 2011

„...es ist ein Grundbedürfnis des Menschen, etwas um sich herum zu gestalten, sei es durch Inneneinrichtung, Mode oder anderes. Aber was treibt uns dazu, Bilder zu erschaffen? Dahinter steckt vielleicht der Drang, eine andere Ordnung herzustellen, eine andere Wirklichkeit als die, die wir täglich vorfinden. Wenn wir bildnerisch handeln, entwerfen wir Alternativen zur Realität: Bilder, die es so nicht gibt. In diesem Moment bin ich selbst der Ordnende. Das Prinzip ist nicht nur für junge Künstler wichtig, die sich so ein Stück Freiheit schaffen, sondern eigentlich für jeden. Ich empfinde definitiv eine Notwenigkeit zum bildnerischen Handeln, und ich glaube, dass dieses Gefühl bei vielen Künstlern existiert, ohne dass sie dafür Gründe nennen können....“

Zitat von Günther Uecker, Maler und Objektkünstler


„Die Suche nach dem eigenen Inneren als Bild eines äußeren Zustandes, der Kampf um Identität und Erkenntnis: Elementare Übung und Lebensaufgabe des künstlerischen Gestaltens.

Die fruchtbaren Anregungen der Kunstgeschichte, besonders der klassischen Moderne des 19. und der Kunst des 20. Jahrhunderts, die anregenden Potentiale der Zeichnung und der Malerei, der Drucktechniken und grafischen Zwischentechniken sind entdeckbare Kontinente grenzenloser Gestaltungsmöglichkeiten. Wer sie nicht nutzen kann, weiß wenig von den Möglichkeiten der Kunst und deren kreativem Potential. Er weiß nichts von den Menschen und ihren Modellen, ihren Form- und Farbwelten, wie sie mit Schrift, Fotografie, Drucktechniken usw. umgegangen sind – und warum? Das Ziel ist die Erforschung des „Terra incognita“. Es lohnt sich immer!

Zu den Bildern von Gabriela Csikos:
Lyrisch-syntaktischer und serieller Weg, die Infragestellung der singulären Bildaussage – die Farbwelt ist teilweise sehr reduziert. Abgrenzungsverhalten... Das Bild entsteht teils suchend und tastend, teils dynamisch-expressiv – das Bild als Arena zwischen Konstruktion und Dekonstruktion. Vom genauen Abbild der Natur zu freien Umformungen – bis zu eigenen Interpretationen, Variationen, Experimenten. Die Suche nach dem Typischen, Charakteristischen der Dinge. Nach der Wahrhaftigkeit. Leitgedanke ist „Variation und formale Ebene – Einsatz und Eigengesetzlichkeit der Mittel“ - partielle Befreiung der Mittel von der Funktion der Gegenstandsbeschreibung – Gratwanderung zwischen Abbild und Materie“ .

Kompetenz und Aufrichtigkeit


Zitat von Guido Ludes, 2005

„Die Voraussetzung für kreatives Schaffen ist die Fähigkeit, gestalterische Sinnfragen zu beantworten. Kompetenz und Aufrichtigkeit sind somit gefragt. Die theoretische und praktische Untersuchung und Interpretation von Bedingungen unserer essentiell vorhandenen BILD-Welten ist für alle Künstler als Gestaltungs- und Erkenntnisraum ein elementares und exemplarisches Übungsfeld für die Gestaltung eigener Bilder.

Mit Blick auf das vergangene Jahrhundert – zwischen Verdun, Auschwitz, Vietnam, Sudan und Bosnien, zwischen mir und dir, zwischen mir heute und mir morgen – erfahren wir viel über bildimmanente Kräfte, die uns wiederum eigene Bilder schaffen lassen. Die Bildstrategien der Kunst des 20. Jahrhunderts sind durch ihre antizipatorischen und visionären Ideen mit ihrem gigantischen Potenzial noch immer nicht im 21. Jahrhundert angekommen, sind also nach wie vor unverbraucht und frisch. Bildermacher, zurück in die Zukunft!“

"Alltagsbetrachtungen im Blick "


- Artikel in der Allgemeinen Zeitung Mainz vom 25. Januar 2016 - von Michaela Paefgen-Laß

KUNST HOCH DREI Werke von Gabriela Csikos, Christian Weber und Violetta Vollrath im Eisenturm

MAINZ - Drei Künstler, drei Räume, drei Positionen lautet das Konzept der Ausstellungsreihe „Kunst hoch 3“, die seit 2013 regelmäßig im Winter vom Kunstverein Eisenturm gezeigt wird. Die am Samstag eröffnete und noch bis zum 21. Februar laufende Ausstellung hält an der Idee der drei Räume allerdings weniger dogmatisch fest, als es der Titel zunächst vermuten lässt. Die Werke von Gabriela Csikos, Christian Weber und Violetta Vollrath werden gruppenweise nebeneinander platziert, nicht separiert gezeigt. Der Ausstellung verleiht das eine besondere Spannung, denn sie fordert den Besucher zum Mitdenken über die individuellen Eigenheiten der Künstler- und Werkpersönlichkeiten auf. Ein Clash der Stile und Auffassungen findet im Eisenturm nicht statt. Zu sehen sind stattdessen fein differenzierte Arten, alltägliche Betrachtung zum Gegenstand der Kunst zu machen.

„Die großen Materialschlachten schlage ich nicht“, sagt Violetta Vollrath in dem von Dietmar Gross, Vorsitzender des Kunstvereins, moderierten Künstlergespräch. Die Schlachten schlagen bei ihr die Sujets Natur und Technik. Bevor sie eine Ausbildung zur Theatermalerin absolvierte und seitdem am Mainzer Staatstheater arbeitet, war Vollrath Bauingenieurin. Ein Einfluss, der sich so leicht nicht abschütteln lässt, wie die großformatigen Bilder der Reihe „Alles wird gut“ bestätigen. Üppige Ornamente aus Zweigen und Blüten in zarten, klaren Pastelltönen und Wasserspiegelungen heucheln eine fast epikureische Idylle vor. Die stellen die Hochhausfassaden im Hintergrund allerdings abrupt in Frage.

Vorbilder in der Malerei möchte Christian Weber lieber nicht benennen. „Hat man ein Vorbild, wirkt sich das magnetisch auf das eigne Werk aus“, erklärt der Kommunikationsdesigner. Weshalb er sich der Suche nach Inspiration verweigert, und sich lieber durch die Betrachtung vorantreiben lässt. Wie gut das funktioniert, zeigen seine Berlin Bilder – entstanden im Regen, erzählt Weber. Das Brandenburger Tor schemenhaft hinter einem Schleier aus grünem Naturgespinst. Der Hauptbahnhof in diffusen Blautönen. Er beschäftige sich mit der Welt wie sie sei und lasse sich von ihr den Pinsel führen, so Weber.

Mutig und motiviert Nebenwege wagen, beschreibt Gabriela Csikos ihre Arbeit. Angefangen haben sie mit dem Strich und der Linie. Die Zeichnung ist bis heute ein Herzstück ihres Schaffens geblieben. Die Ausstellung zeigt die freischaffende Künstlerin mit flächigen in gedeckten Tönen gehaltenen Bildern. „Tal der Liebenden“ oder „Tal der Mönche“ lauten die Kombinationen von Wachs, Tusche und Acryl auf Karton. Schwermütig und dunkelromatisch setzt sie sich so von der Farbigkeit der Mitaussteller ab.


„Nur in der Malerei fliege ich wirklich“


Armin Mueller-Stahl: Auszüge aus Interviews in 2011 - 2014


„Die Malerei ist der einzige Moment, wo ich wirklich fliege. Ich bin frei. Gelingt mir etwas nicht, übermale ich es. Und wenn es sein muss auch zehnmal, hundertmal. Diese Freiheiten genieße ich sehr. Alles, was mich bewegt und berührt, was ich in der Zeitung lese, will Wort oder Bild werden. Und mehr und mehr will es Bild werden. Also male ich.

Der kreative Moment übernimmt manchmal die Führung und ist stärker als das Talent, das läuft ein bisschen hinterher. Die Striche machen ein Bild konkret, die Farben machen es abstrakt, sie haben ein Eigenleben, selbst Ölfarben verlaufen ineinander. Der Zufall spielt dabei oft eine große Rolle und ist oft stärker als man selbst. Und die Farben machen auch etwas mit einem, in diesem kreativen Vorgang bekomme ich manchmal Antworten auf Fragen, die mir die Religion nicht geben kann. Ich gucke damit über den Tellerrand des Lebens.
Die Kreativität hat mich zum einen vor den schwarzen Löchern gerettet. Zum Beispiel wenn ich Abschied nehmen musste – das Thema spielt für mich eine große Rolle. ...dass man Freunde verliert, mit denen man so weit durchs Leben gegangen ist, das ist ein Verlust, es wird leer um einen herum. Zum anderen hat Kreativität mich von diesen Fesseln befreit, die einem das tägliche Leben auferlegt: angenehm sein zu müssen, zu lügen, um weiterzukommen...

Bei der Malerei dürfen Sie den Kopf vergessen. Die Figur entsteht intuitiv auf dem Blatt oder der Leinwand, das ist wie eine Komposition. Und das ist mir ein großes Vergnügen, meistens zumindest. Ich empfinde sie als eine Rettung vor der Unfreiheit und eine Rettung in der Freiheit, der inneren Freiheit. Da bin ich Regisseur, Kameramann, ich bin alles in einer Person, und ich bin unabhängig.

Mir geht es um die Freiheit, die man in der Kunst hat. Die Musik und die Malerei haben verwandte Seelen, sie helfen sich gegenseitig, Grenzen zu überschreiten. Damit meine ich aber nicht verkitschte Natur und Schnulzengedöns.“

Aus der Textsammlung „Das antwortende Bild“


von Werner Haftmann

„Die Natur ist nicht nur das, was sich als Naturgegenstand dem Auge des Menschen entgegenstellt, sondern was sie existentiell im Menschen ist und was sie in ihnen hervorruft.
Eine Dichtung aus Eindrücken, vorgefundenen Elementen der Natur, aus der Vorstellung und Erinnerung, und aus den Materialien, die die Wirklichkeit bietet.
Die Bewegung im Feld zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion erfordert eine feine, immer neu zu erfindende, neu zu definierende, persönliche Methode, die die chaotische Assoziationsfülle der einzelnen Elemente bändigt, ohne ihnen die Freiheit zur spontanen Entfaltung zu nehmen.

Die moderne Kunst ist im wesentlichen "l'art pour l'homme" - Kunst für den einzelnen, und dient seiner Begegnung mit dem Bewusstsein um seine eigene Einmaligkeit und Unwiederbringlichkeit, die die Würde des Menschen ist.“

„Was ist Landschaft?“

Horst Janssen (1929 – 1995) aus: „Texte zur Landschaft“, 1970

„Die Landschaft ist das Bild reiner und einziger Leidenschaft: Drama aus Akten und Stille, der Stürme, der Luft- und Wasserfurien. Angehaltener Atem sich räckelnder Basalt, Granit-Titanen.
Landschaft ist das Bild der hingestreckten Täler, Spitzenbordüre ferner Waldsäume. Landschaft ist brechendes Holz, einkomponiert in das Sonnenfleckengeklimper der Blätter; sie ist das plötzliche Verstummen aller gefiederten Melodien, bevor sich aus dem heraufziehenden Gewitter grummelnd wie mühsam der erste Donner löst, um hinter weiten Äckern in eine unbekannte Richtung abzurollen. Das ist Landschaft. Landschaft? Das sind die Regenbogenbrücken die gleich wieder verbinden, was die Blitze des abziehenden Gewitters zerschnitten haben. Landschaft: das sind Scherenschnitte auf Nebelseide gelegt und solche - schärfer und ziselierter geschnitten - im Schnee. Sie ist heil, ganz, total und überwältigend.
Also: ich gehe nicht IN die Landschaft, ich gehe EIN in die Landschaft. Und die Bilder, die ich aus der Landschaft ziehe – ich ziehe sie absichtslos, genüsslich sanft schlürfend ein – zurück wieder in meiner Burg zieht die Landschaft durch den Schlaf.“

„Landschaft -
Ich gehe in die Landschaft.
 Was ist das? Ist die Landschaft ein Motiv?
Nein - das ist sie in ihren Einzelheiten.
Ist sie ein Thema?
Nein - das ist sie als Begriff.
Also: die Landschaft ist eine Lebensform.
Landschaft ist Gesche, Gerhard Schack,
ist Kledage aus Wolle + Manchester.
Landschaft ist vom Gestrübb zerkratzte Pfoten,
morgendlicher Badezzusatz Fichtennadel.
Landschaft ist grobes Bettzeug
und Erde + Tannennadeln im Schuh.
Landschaft ist heißer dünner Kaffee
in den gewissen Bechern - kein Alkohol.
Landschaft ist Geplapper ohne Thema,
Gelächter
Schweigen ohne schlechtes Gewissen
grundloses Schweigen
und Lippenspitzen ohne Gegenlippen.
Keine Zeitung, abbestellt.
Turgenjew, Stifter,
Storm. Nicht Fontanes Landschaft -
vielleicht noch Leskovs Klerisei.“

Horst Janssen aus: „Texte zur Landschaft“, 1970

aus:

„Texte zur Landschaft“

Horst Janssen, 1970

„Über Landschaft lässt sich nicht streiten. Wo einer unter zwei Gewittern Götterdämmerung empfindet, fühle ich mich gemüüütlich.
Wenn ich im Windschatten einer Uferböschung hocke, wenn die ersten Böen von Rückwärts her das nahe Wasser von mir wegdrängen, wenn zuvorderst dicht unterm Ufer die Luft flach über die Wasseroberfläche rippelt und sich weiter draußen in den See hineinwühlt, wenn von rückwärts her über meine Deckung hinweg nasse Blätter und Hölzchen und die einzelnen schweren Tropfen auf die gerippelte Wasserhaut klatschen, wenn dann das ganze Wind- und Wasserprelüde jäh abbricht und die sich hochwälzenden Gewitter das letzte Loch im Zenit verschließen und alles Geräusch aussperren, wenn diese lautlose Welt verkehrt beleuchtet wird, indem alles Licht von der Erde ausgeht und alles Gebüsch und Gras und Wasser weißlich grün vor dem himmlichen Schwarz leuchtet, dann überkommt mich große Behaglichkeit: ich verliere für einen Moment meine Identität und nichts ist da, was durch Erinnern stört.
In dieser Gegenwart ist keine Vergangenheit und zugleich ist es der Moment, in dem alle Zukunft zusammenfließen scheint. Das unterbrochene Bedürfnis nach Vorausplanung, Ökonomie und Analyse, dieses Getue um wenigstens in den Genuss des Hoffens zu kommen - was alle meine Tage füllt -, dies Bedürfnis ist in diesem Moment unterbrochen. Alles ist für alle Zeiten geordnet und braucht nicht bedacht zu werden.“

Gespräch mit Jonas Burgert (zeitgenössischer Maler und Bildhauer aus Berlin, * 1969)

Interview und Text: Juliet Kothe, am 30. Dezember 2013

Da geht’s ja immer auch um etwas Unaussprechliches, beim Kunst machen. Das ist so eine Art mythischer Akt, zumindest im Bewusstsein der meisten Menschen…
Es klingt einfach komisch, wenn man so persönlich redet. Klar, im Kontrast dazu ist es natürlich das, was die Außenwelt immer von uns wissen will, was wir innerlich empfinden beim Kunst produzieren. Hier setzen wir alle voraus, dass sich der Andere seine Gedanken macht und etwas nachvollzieht. Zusammen sind wir dann eher am „Wie“ des Prozesses interessiert.

Warum umgeben sich die Menschen mit Bildern, mit Kunst?
Wir als Künstler hätten ja gar keine Chance, wenn nicht alle Menschen sehnsüchtig wären und die Illusion als Teil des Lebens wahrnehmen würden. Wir sehen ja auch in der Wolke ein Gesicht. Wir haben dazu eigentlich gar keine Veranlassung, aber trotzdem sehen wir überall irgendetwas. Wir wollen mehr sein als das, was wir sind.

Was ist denn schlimm an der Realität?
Für uns ist Realität meist gleichbedeutend mit Normalität. Ich male zwar erkennbar. Das ist aber kein Realismus oder Naturalismus. Ich will nicht, dass man eine bestimmte Person erkennt. Bilder verlieren an Kraft, wenn die Realität zu stark einbezogen wird. Wir suchen im Bild nach Symbolen, nicht nach Erna Müller oder Peter Meyer. Sobald die Person auf dem Bild konkret wird, ist diese Phantasie weg. Realität existiert sowieso, aber das Illusionistische kommt dazu wie ein Subtext, als eine Art von Sehnsucht nach dem, was sein könnte. Deswegen muss Kunst, die ganz aus dem Ready-Made besteht, sehr stark symbolisch werden in ihrem Zusammenhang.

Die rationalen Parameter müssen weg, strebt man das Surplus der Kunst an?
Wir wollen das illusionistische Rechteck als Aktionsfläche. Wir sind angelegt, dahingehend Dimensionssprünge zu machen. Wir können einen Bierdeckel nehmen, Punkte drauf malen und sagen, das ist ein Sternenhimmel. Das funktioniert nur, weil wir diese Illusionsfläche akzeptieren. Wir stellen unsere Wertigkeiten auf diesen Rahmen ein. Das ist völlig irre. Die Illusion ist auch nicht nur einfach eine Fiktion. Die Illusion gehört zu unserem Leben. Deswegen weinen die Leute im Kino. Es spielt nicht mal eine Rolle, ob dein Bewusstsein weiß, dass das ein Betrug ist, wir weinen trotzdem. Wir berichten immer stolz von unserem Verstand, dass alles einzuordnen ist. Dabei sind wir von unseren illusionistischen Sehnsüchten gesteuert, überall und dauernd.

Du beschäftigst dich dennoch viel mit Fotografien der gegenwärtigen Berichterstattung, auf denen Revolten, Massenversammlungen oder Müllhalden abgebildet sind. Was entnimmst du dieser Form von Realität?
Wenn derartige radikale Situationen entstehen, die auf diesen Bildern festgehalten sind, kommt ein archaisches Grundprinzip der Menschen zum Vorschein. Was mich interessiert, ist das, was uns als Menschen schon immer beschäftigt hat und was uns auch in Zukunft beschäftigen wird. Wenn alles zusammenbricht oder eine Extremsituation entsteht, dann kommen die essentiellen Fragen auf den Tisch. Die ganze Dekoration ist dann weg, diese ganzen Putten. Man gleitet dann über in ganz andere Zusammenhänge und in viel längerfristige Gedankengänge. Deswegen interessiert mich die ganz weite Vergangenheit genauso wie weit entfernte Zukunftsmodelle.

Hat das was mit Verfall und Wiederaufbau zu tun?
Was ist denn die lineare Bewegung? Mit welchen Sehnsüchten dekorieren wir unsere Evolution? Wir versuchen immer wieder, Kulturen zu bauen und zu erschaffen, aber dann zerbrechen sie wieder und zerfallen. Dann kommt der Wechsel. Und je mehr man sich mit diesem Zyklus beschäftigt, desto unwichtiger wird es auch, wo man jetzt den Klecks auf die Leinwand aufträgt. Das wird dann albern. Als Maler will ich an die Basis ran. Wo ist das Wirkliche? Was passiert, wenn die Menschen nachts nach Hause gehen und ihre Türen zumachen? Sie werden zu anderen Personen als jene, die sich in der Gesellschaft verhalten. Die radikale Säuberung von dieser ganzen Unterhaltung, das interessiert mich. Es muss einen Bereich geben, wo man nicht auf den schnellen, kleinen Applaus aus ist, sondern an die Dinge heran geht, die unangenehm sind – auch auf die Gefahr hin, dass es pathetisch ist.

Das Verbrechen des Ornaments? Andrerseits sagtest du doch gerade, das Illusionistische ist unser Ursprungsbedürfnis. Ist da kein Widerspruch? Was ist denn dein Prinzip von Wahrheit nun?
Das ganz Grundsätzliche ist für uns Menschen gefährlich. Es ist ganz dünnes Eis und wir wissen nicht, wie wir uns darauf bewegen sollen. Die existentielle Thematik, die uralte Sinnfrage macht uns Angst und unsicher. Jemand muss sehr stark sein, um damit umzugehen. Deswegen haben wir hunderttausend Götter kreiert und Religionen erfunden. Nur damit wir mit der Angst irgendwie umgehen können. Die andere Möglichkeit ist, dass Leben zu dekorieren und sich abzulenken mithilfe des ganzen Entertainmentkram. Auf diese Weise schlittert man daran vorbei, sich mit den essentiellen Dingen überhaupt zu beschäftigen. Das Leben erscheint leichter, aber die eigentliche Dramaturgie des Lebens ist dadurch nicht verschwunden. Spätestens wenn die Menschen nachts in ihren Kissen liegen oder ein nahe Person stirbt, kommt die ganze Soße wieder hoch.

Viele Menschen bereuen am Ende ihres Lebens, sich nicht mehr dieser „Soße“ gewidmet zu haben…stattdessen kümmern sie sich ihr Leben lang um das Horten von Besitztümern.
Irre, oder? Ihr Leben lang packen die Leute ihre Konten voll. Die Deutschen sparen so viel Geld, davon könnten sie halb Europa aufkaufen. Das Geld wird wie ein Gral in die Ecke gestellt, wie ein Pokal. Und die Leute fühlen sich gut dabei. Das ist auch eine Religion, oder zumindest religiöses Verhalten, dieses Horten von Geld. Das Problem und das Gefährliche ist der moralische Wert, der dem Geld zugeordnet wird: so ein bisschen nach Art des amerikanischen Modells: Wer Geld hat und Erfolg, ist ein guter Mensch – und das ist natürlich Quatsch. In Europa denken wir da zum Glück anders, vielleicht hängt das noch mit Luther zusammen.

Und in welchen gedanklichen Rahmen agierst du?
Das Denken an sich und seine Facetten finde ich faszinierend. Das ist einerseits der logische Ablauf einer Gedankenkette, auf die wir uns untereinander geeinigt haben, um uns verständigen zu können. Das Malen ist auch ein emotionales Ding, aber im Endeffekt eben gedanklich gesteuert. Mein Bewusstsein ist bei jeder Handlung, jeder Auswahl einer Farbe oder Form dabei. Was ich aber versuche, ist den Gedanken in eine Empfindung zu übersetzen. Und nicht in dem logischen System des Gedankenspiels verankert zu bleiben. Am ehesten ist das mit Lyrik zu vergleichen. Das Gedicht setzt die rationale Information des Inhalts in eine Empfindung um. Im Endeffekt ist sie viel stärker als der Text selbst. Weil sie eben noch mehr macht, als die Summe der Einzelteile miteinander zu verbinden, sie hat Klang und der Klang überträgt den Inhalt des Gedichts auf eine andere Ebene.

Lässt sich dieser Ansatz auf deine Bilder übertragen?
Natürlich kann sich der Betrachter die Details auf meinen Bildern nicht merken, diese ganzen Figuren, aber das, was das Bild als Ganzes ausmacht, diesen Subtext, den merken sie sich. Als Kind fand ich das schon komisch. An den Refrain eines Liedes kann man sich jahrelang erinnern und schon am nächsten Tag habe ich den Stoff der Biostunde vergessen. Die Frage ist die nach der Verknüpfung. Wenn der Lehrer den Inhalt in ein Symbol gepackt hat, konnte ich mir das merken, obwohl es mich nicht interessiert hat.

Der Erfolg einer Nachrichtenübermittlung hängt von der richtigen Entscheidung für eine bestimmte Vermittlungsebene ab?
Ja. Es gibt ja auch beispielsweise diese Grenze zum Privaten. Ich muss sehr in mich hineingehen und ehrlich sein in meinen Bildern, sozusagen die Seele aufs Tablett legen, um eine Authentizität oder Intensität zu generieren. Aber es gibt eine Grenze, da wird es so privat, dass andere Menschen das inhaltlich nicht mehr nachvollziehen können. Dann wird es langweilig. Ich muss es hinkriegen, dass das Dargestellte stellvertretend für Menschen oder Gedankengänge steht. Ich möchte ein Element kreieren, das einerseits total persönlich ist, sonst ist es Fake, und andererseits muss das Persönliche immer mit dem Grundprinzip Mensch an sich zu tun haben. Ich glaube, die Menschen reagieren auf meine Bilder, weil ich versuche, diesen Spagat zu machen. Ich versuche, einen psychologischen Zustand auf das Phänomen Mensch an sich zu beziehen.

Was sehen wir denn hier auf den Bildern nun konkret und was überlegst du dir als Erstes?
Als erstes überlege ich mir die Hauptthematik. Bei der Motivwahl geht es dann um Platzierung. Nicht darum, wo etwas tatsächlich ist, sondern wo die optische Position ist. Die wirkliche Mitte beispielsweise ist total uninteressant. Die macht ein Bild langweilig in kompositorischer Hinsicht. Schau dir mal die altmeisterlichen Portraits an. Da denkt man auch in der Mitte ist der Kopf, aber auch da ist es bei den guten Bildern leicht aus der Mitte ´rausgezogen. Man kann ein Bild ja töten durch die zu perfekte Komposition. Man muss immer knapp daneben liegen, dann bleibt es unruhig und das Bild ist in Bewegung.

Oft ist die Farbe bei dir schwer zu verorten, sie ist nicht vergegenständlicht. Du benutzt sie eher wie Puder. Wir wissen gar nicht, woher die Farbe eigentlich kommt. Dadurch schreibt die Farbe nicht zu und wird zum offenen Prinzip…
Man hat das Gefühl, die Farbe kann im Bild überall wieder auftauchen. Es soll flackern. Man hat unglaublich viel Inhalt und Erkennbarkeit und Figuren, die allerlei Dinge machen. Im Endeffekt geht es aber oft um Farb- und Tonwerte, die das Bild bestimmen. Es gibt auch Fixpunkte, die manchmal durch den klassischen Komplementärkontrast entstehen, den man eigentlich zu vermeiden versucht, weil der ein bisschen platt ist. Wenn man aber ein Bild mit so vielen Farbigkeiten anlegt, kann man auf einmal auch das machen. In dem Fall ist so viel farbige Basis gelegt, dass ich den Kontrast brauche, damit ich die Energie rauskriege, damit bestimmte Motive im Bild noch mehr herausgehoben werden. Man kommt malerisch an seine Grenzen, wenn so viel Farbe da ist und man sich fragt, ist das noch zu steigern…? Plötzlich ist man wieder bei den Grundprinzipien.

Räumte man der Entfaltung der künstlerischen Inhalte früher mehr Raum ein? Heute scheint es manchmal, als richte sich die Kunstproduktion nach den Ausstellungszyklen der Galerien. Was ist dein Eindruck?
Der Diskurs über die Bilder selbst war größer. Es wurde zerrissen, gelobt oder gestritten, aber immer in der Wertigkeit der Kunst selbst. Heute hat man das Gefühl, die Wertigkeit entsteht mit dem Erfolg der Sache und oft nur durch den wirtschaftlichen Erfolg. Es soll Sammler geben, die mit den Ohren und nicht mit den Augen kaufen.

Wie geht es den Künstlern dabei?
Für die Künstler ist das oft schade. Er weiß ja nicht, ob das Kunst ist, was er da produziert. Der Reichtum liegt für mich aber genau in dieser empfundenen Vagheit und der damit verbundenen Unsicherheit, nicht im Gesetzten oder dem einen starken Pamphlet, dem ich zustimme oder nicht. Das ist für unsere Gesellschaft zwar leichter zu konsumieren, aber auch ein bisschen tot. Innerlich musst du sehr stark sein, um dich Unsicherheit und Verletzlichkeit auszuliefern. Ein Diskurs ist offen, entsprechend der Vagheit von Kunst. Und deshalb ist es schade, dass er oft nicht geführt wird.

Dass Atelier suggeriert einen hohen Grad an Authentizität. Schon Courbet stellte fest, dass das Atelier über eine Produktionsstätte hinaus dem Künstler als Visitenkarte diene. Unser Besuch war ehrlich gesagt also auch von der Neugier begleitet, ob wir dir hier in deiner Wirkungsstätte ganz besonders nahe kommen werden…
Deswegen das große Interesse an Atelierbesuchen. Die Leute wollen die Atmosphäre spüren. Idealistisch gesehen, muss das Bild aber so gut sein, dass es auch ohne Atelier funktioniert. Wenn ich diesen Charme des Drecks brauche, damit das Bild gut ist, dann habe ich etwas falsch gemacht. Im Atelier herrscht natürlich die Aura der Produktionsstätte. Wie in einer Klavierbauerwerkstatt, da steht dann das Klavier halb fertig, die ganzen Holzspäne, der schwarze Lack. Im Endeffekt muss es aber ein Klavier werden, das spielen kann.

Jonas, vielen Dank für die intensiven Einblicke in deine Arbeit und dein Umfeld! Wer mehr über seine Werke erfahren möchte, besucht seine Webseite: www.jonasburgert.de

Interview & Text: Juliet Kothe

„Nachbetrachtung“


Absatz aus dem Buch "Senfkorngarten" Lehrbuch der Malerei, China, 17. Jahrhundert

„Beim Studium der Malerei erstreben die einen Vielfältigkeit, die anderen Einfachheit. Vielfältigkeit ist übel, Einfachheit ist ebenso übel. Die einen geben dem Leichten den Vorzug, die anderen dem Schwierigen. Schwieriges ist übel, Leichtes ist ebenso übel. Die einen halten es für vornehm, eine Methode zu haben, die anderen, keine zu haben. Keine Methode zu haben, ist übel. In der Methode stecken zu bleiben, ist noch übler. Man muss zuerst eine strenge Regel befolgen und dann alle Anwendungen mit ihrem Sinn zu durchdringen versuchen. Wer eine Methode beherrscht, kann sie schließlich außer acht lassen. So ist es möglich, eine Methode zu haben – keine zu haben, ist ebenso möglich. Will man jedoch dahin gelangen, keine Methode zu haben, so muss man gewiss vorher eine besitzen. Sucht man Leichtigkeit, so muss man zunächst die Schwierigkeiten überwinden. Sucht man Einfachheit und Nüchternheit des Pinsels, so muss man gewisslich mit dem Vielfältigen und der Pracht beginnen.“

„Die Einladung“


von Oriah Mountin Dreamer

„Es interessiert mich nicht, womit du dein Geld verdienst. Ich will wissen, wonach du dich sehnst und ob du die Erfüllung deines Herzenswunsches zu träumen wagst.

Es interessiert mich nicht, wie alt du bist. Ich will wissen, ob du es riskierst, dich zum Narren zu machen, auf deiner Suche nach Liebe, nach deinem Traum, nach dem Abenteuer des Lebens.

Es interessiert mich nicht, welche Planeten ein Quadrat zu deinem Mond bilden. Ich will wissen, ob du deinem Leid auf den Grund gegangen bist und ob dich die Ungerechtigkeiten des Lebens geöffnet haben, oder du dich klein machst und verschließt, um dich vor neuen Verletzungen zu schützen. Ich will wissen, ob du Schmerz – meinen oder deinen eigenen - ertragen kannst, ohne ihn zu verstecken, zu bemänteln oder zu lindern.

Ich will wissen, ob du Freude – meine oder deine eigene – aushalten, dich hemmungslos dem Tanz hingeben und jede Faser deines Körpers erbeben lassen kannst, ohne an Vorsicht und Vernunft zu appellieren oder an die Begrenztheit des Menschseins zu denken.

Es interessiert mich nicht, ob das, was du mir erzählst, wahr ist. Ich will wissen, ob du andere enttäuschen kannst, um dir selbst treu zu bleiben; ob du den Vorwurf des Verrats ertragen kannst, um deine eigene Seele nicht zu verraten; ob du treulos sein kannst, um vertrauenswürdig zu bleiben.

Ich will wissen, ob du die Schönheit des Alltäglichen erkennen kannst, selbst wenn sie nicht immer angenehm ist und ob ihre Allgegenwärtigkeit die Quelle ist, aus der du die Kraft zum Leben schöpfst.

Ich will wissen, ob du mit Unzulänglichkeit leben kannst – meiner und deiner eigenen – und immer noch am Seeufer stehst und der silbrigen Scheibe des Vollmonds ein uneingeschränktes »Ja!« zurufst. Es interessiert mich nicht, wo du wohnst oder wie reich du bist. Ich will wissen, ob du nach einer kummervoll durchwachten Nacht zermürbt und müde bis auf die Knochen aufstehen kannst, um das Notwendige zu tun, damit deine Kinder versorgt sind.

Es interessiert mich nicht, wen du kennst oder wie du hierher gekommen bist. Ich will wissen, ob du inmitten des Feuers bei mir ausharren wirst, ohne zurückzuweichen.

Es interessiert mich nicht, wo oder was oder mit wem du studiert hast. Ich will wissen, was dich von innen heraus trägt, wenn alles andere wegbricht.

Ich will wissen, ob du mit dir selbst allein sein kannst und ob du den, der dir in solch einsamen Momenten deines Lebens Gesellschaft leistet, wirklich magst.“

Rede von Charlie Chaplin an seinem 70. Geburtstag am 16. April 1959


„Als ich mich selbst zu lieben begann,
habe ich verstanden, dass ich immer und bei jeder Gelegenheit,
zur richtigen Zeit am richtigen Ort bin
und dass alles, was geschieht, richtig ist –
von da an konnte ich ruhig sein.
Heute weiß ich: Das nennt man VERTRAUEN.

Als ich mich selbst zu lieben begann,
konnte ich erkennen, dass emotionaler Schmerz und Leid
nur Warnungen für mich sind, gegen meine eigene Wahrheit zu leben.
Heute weiß ich: Das nennt man AUTHENTISCH SEIN.

Als ich mich selbst zu lieben begann,
habe ich aufgehört, mich nach einem anderen Leben zu sehnen
und konnte sehen, dass alles um mich herum eine Aufforderung zum Wachsen war.
Heute weiß ich, das nennt man REIFE.

Als ich mich selbst zu lieben begann,
habe ich aufgehört, mich meiner freien Zeit zu berauben,
und ich habe aufgehört, weiter grandiose Projekte für die Zukunft zu entwerfen.
Heute mache ich nur das, was mir Spaß und Freude macht,
was ich liebe und was mein Herz zum Lachen bringt,
auf meine eigene Art und Weise und in meinem Tempo.
Heute weiß ich, das nennt man EHRLICHKEIT.

Als ich mich selbst zu lieben begann,
habe ich mich von allem befreit, was nicht gesund für mich war, v
on Speisen, Menschen, Dingen, Situationen
und von Allem, das mich immer wieder hinunterzog, weg von mir selbst.
Anfangs nannte ich das „Gesunden Egoismus“,
aber heute weiß ich, das ist SELBSTLIEBE.

Als ich mich selbst zu lieben begann,
habe ich aufgehört, immer recht haben zu wollen,
so habe ich mich weniger geirrt.
Heute habe ich erkannt: das nennt man DEMUT.

Als ich mich selbst zu lieben begann,
habe ich mich geweigert, weiter in der Vergangenheit zu leben
und mich um meine Zukunft zu sorgen.
Jetzt lebe ich nur noch in diesem Augenblick, wo ALLES stattfindet,
so lebe ich heute jeden Tag und nenne es BEWUSSTHEIT.

Als ich mich zu lieben begann,
da erkannte ich, dass mich mein Denken
armselig und krank machen kann.
Als ich jedoch meine Herzenskräfte anforderte,
bekam der Verstand einen wichtigen Partner.
Diese Verbindung nenne ich heute HERZENSWEISHEIT.

Wir brauchen uns nicht weiter vor Auseinandersetzungen,
Konflikten und Problemen mit uns selbst und anderen fürchten,
denn sogar Sterne knallen manchmal aufeinander
und es entstehen neue Welten.
Heute weiß ich: DAS IST DAS LEBEN!“